„Halt an, wo läufst Du hin?
Der Himmel ist in Dir!
Suchst Du Gott anderswo, Du fehlts Ihn für und für!
Wird Christus tausendmal zu Betlehem geboren
und nicht in Dir –
Du bleibst noch ewiglich verloren“
A n g e l u s S i l e s i u s
Liebe Pfarrangehörigen, Liebe Schwestern und Brüder in Christus, Liebe Freunde!
Zu Beginn der Adventszeit 2020 haben wir die Worte unseres Herrn Jesus Christus sehr deutlich vernommen: „Seht Euch also vor, und bleibt wach! Denn Ihr wisst nicht, wann die Zeit da ist!“ (Mk 13,33).
Im allerersten Moment könnten wir womöglich den Eindruck gewinnen, dass dieser Aufruf Teil dessen ist, was wir ausnahmslos alle seit mehreren Monaten durchmachen: Ängste und Befürchtungen im Zusammenhang mit Informationen über die Ausbrüche der weltweiten Infektionen, Zustände, welche unsere Gesundheit, unsere Existenz, unser Leben unmittelbar bedrohen. In gewissem Sinne ist es wahrscheinlich auch genau so, weil das menschliche Leben von einer außergewöhnlichen Zerbrechlichkeit geprägt ist und keiner von uns den Tag kennt, an dem unser kostbares Leben zu Ende gehen wird. Der Ruf unseres Herrn Jesus Christus hat jedoch eine viel tiefere Dimension. Dieser Ruf fordert uns dazu auf, wachsam zu sein, damit wir durch unser eigenes Versehen keineswegs das Gute aus den Augen verlieren, das zu uns kommt. Und es kommt zu uns, jederzeit, auch inmitten unserer größten Sorgen! Wir müssen allerdings das Gute bemerken, das zu uns kommt, es in unser Herz reinlassen, annehmen und daraus leben wollen. Anderenfalls könnte uns gerade wegen mangelnder Wachsamkeit das Schicksal Jerusalems ereilen. Jerusalem hat an jenem Tag die Zeit der Gnade nicht erkannt, das Gute abgelehnt und dem Tod übergeben.
Die selige Advents- und Weihnachtszeit erinnert uns an die historische Wahrheit, dass vor über zweitausend Jahren die Zeit kam, als Gott durch die Geburt zweier Kinder Seine unendliche Barmherzigkeit der Welt zeigte. Ja, zweier Kinder! Das erste Kind war Johannes, dessen Erscheinen dem Priester Zacharias von einem Engel angekündigt wurde. Zacharias hatte keine Nachkommen und er erwartete auch keine mehr, denn sowohl er als auch seine Frau Elisabeth waren schon in sehr fortgeschrittenem Alter. Jedoch wider aller Hindernisse verkündete der Engel des Herrn Zacharias „Große Freude“ (Lk 1,5-25). Aber er – geleitet von rein menschlichem Denken und auch von tiefer Traurigkeit über seine eigene Verfassung – glaubte nicht, dass ein so freudiger Tag überhaupt noch kommen könnte. Weil Zacharias die Zeit der Gnade nicht erkannt hat (nicht geglaubt hat), wurde er von Gott durch den Verlust der Sprachfähigkeit getroffen und verblieb in diesem Zustand bis zur Geburt seines Sohnes, den er dann genau nach der Weisung des Engels Johannes nannte. Wir können uns heute vorstellen, wie sehr sich Zacharias‘ altes Herz freuen musste, als er seine Frau, die selige Elisabeth ansah, die Gott dankte, dass der Herr auf sie an jenem Tag so gnädig geschaut hat!
Das zweite Kind, durch das Gott Seine unendliche Barmherzigkeit der Welt und den Menschen zeigte, war Sein eigener Sohn. Der Engel Gabriel kündigte das Kommen des Sohnes Gottes der Jungfrau Maria an. Im Gegensatz zu Zacharias zweifelte sie nicht. Sie wollte lediglich verstehen, was das zu bedeuten hat. Und als sie hörte, dass alles allein durch die Kraft des Heiligen Geistes geschehen würde, stieß sie lediglich den bekannten vertrauensvollen Ruf aus: „Mir geschehe, wie Du es gesagt hast!“ (Lk 1,38). Maria hat ihr großes, inniges Vertrauen in Gott mit Lobpreis und Anbetung des Allmächtigen Gottes („Magnificat“) verbunden, der wirklich „Großes“ für sie getan hat (Lk 1,46-55). Diese gesamte Situation konnte wiederum Josef, Marias Ehepartner, nicht begreifen. Von Zweifeln hin und her gerissen, wollte er sich sogar von ihr heimlich distanzieren und trennen! Als ihm jedoch der Engel des Herrn in einem Traum erschien und das Geheimnis der Gegenwart Gottes unter den Menschen offenbarte, „nahm er seine Frau zu sich“ (Mt 1,24) und neun Monate später, in Betlehem, gab er dem neugeborenen Jungen – gemäß den Worten des Engels – den Namen Jesus. Und erneut steht uns vor Augen die übergroße Freude des Vaters über das ihm geschenkte Leben seines (Pflege-) Sohnes und über seine Ehefrau, die ihm dieses Leben ermöglicht hat. Die ganze Geschichte hatte nun ihr glückliches Ende gefunden, die Ehe und Familie wurden gerettet. Das war nur deswegen so, weil (Maria und) Josef auf Gott vertraut hat! Genau auf diese Weise verdiente sich Josef eine besondere Verehrung in der gesamten Kirche, die sich unter anderem in den folgenden nachahmungswürdigen Eigenschaften ausdrückt, die in der Litanei zum Heiligen Josef enthalten sind: der Gerechte, der Reine, der Weise, der Starkmutige, der Gehorsame, der Getreue.
Liebe Freunde, diese adventlichen und weihnachtlichen Reflexionen über Zacharias und Elisabeth, über Maria und Josef, über die Geburt unseres Herrn Jesus Christus sollen dazu führen, unserem Gott, dem Lebensspender, dem Schöpfer aller Dinge und dem Vater von uns allen in übergroßer Dankbarkeit entgegenzutreten: für das uns geschenkte Leben, für unsere Familien, für die Ehepartner, für die uns geschenkten Kinder, für unser gemeinsames Zuhause, unsere Heimat, für unsere Freunde. Schauen Sie sich in Dankbarkeit Ihr ganzes Leben von Anfang an. Schauen Sie heute genau auf Ihre Ehepartnerin und Ihren Ehepartner, was ihre Blicke zu verraten haben. Schauen Sie auf Ihre Eltern und Großeltern und entdecken Sie, welche Geschichte ihres Lebens ihre Gesichter widerspiegeln und wirklich zu erzählen haben. Schauen Sie auf die Ihnen geschenkten Kinder – vor allem aber auf diejenigen, die noch den Moment ihres Kommens in die Welt so sehnsüchtig erwarten. Schauen Sie auf Ihre ganze Familie… Durch jede einzelne und jeden einzelnen von Ihnen, so wunderbar und so einzigartig, kommt Gott selbst auf ganz besondere Weise in diese unsere Welt! Sie alle tragen nämlich das göttliche Licht in Ihrem Herzen. Das Licht, das uns alle so besonders und so wertvoll macht!
Gerade zu dieser Zeit, in der all die Informationen über die weltweiten Infektionen und deren Auswirkungen uns als Menschen so klein und hilflos erscheinen lassen, bricht die Hoffnung in die Welt ein, die alle Käfige und Ketten sprengen lässt, in denen wir gefangen sind! Heute sagt Gott zu uns: Du bist mein geliebtes Kind, an Dir habe ich Gefallen gefunden. In Deinem Herzen habe ich das ewige Licht meiner Anwesenheit in dieser Welt schon damals eingepflanzt und heute bringe ich dieses Licht zum Erleuchten und zum Erscheinen – für diese Welt.
Gott selbst kommt heute zu Ihnen und will in Ihrem Herzen Wohnung nehmen: um es zu beschützen und es in Sicherheit zu führen. Er will heute in Ihrem Herzen neu geboren werden! So wie damals, vor über zweitausend Jahren in Betlehem. Um Ihnen Kraft und Mut und Zuversicht zu schenken für Ihren guten Weg, für Ihr gutes Leben, für Ihre gute Zukunft. Suchen wir unsere Erfüllung nicht dort, wo Dunkelheit und Tod herrschen, sondern dort, wo wahres Leben und wahre Liebe sind: in Jesus Christus, in der Krippe von Betlehem, im Sakrament des Altares, im Wort des lebendigen Gottes, in der Anbetung, im Lobgesang, im Gebet. Lassen wir Ihn rein in unser Herz, in unser Leben hinein – unseren Retter, unseren Messias, Jesus, unseren Herrn! Und lasst uns mit Maria und Josef immer dankbar sein für all das, was wir in unserem ganzen Leben in der Zeit der Gnade empfangen. Erneuern wir immer wieder aufs Neue unsere Liebe zu uns: zu unseren Ehepartnern, unseren Kindern, unseren Eltern und Großeltern, zu unseren Freunden und unseren Nächsten. Durch gegenseitiges Gebet, durch Freundlichkeit und Güte, durch Verständnis und Sanftmut, die täglich zum Ausdruck gebracht werden. Liebe Kinder und liebe junge Leute: versucht Euren Eltern große Liebe zu zeigen und dankt ihnen für das Geschenk des Lebens!
„Halt an, wo läufst Du hin? Der Himmel ist in Dir! Suchst Du Gott anderswo, Du fehlts Ihn für und für! Wird Christus tausendmal zu Betlehem geboren und nicht in Dir – Du bleibst noch ewiglich verloren.“ Mit diesem Wort meines Landsmanns Johann Scheffler, auch Angelus Silesius genannt, und mit meinem Wort zur Advents- und Weihnachtszeit 2020 möchte ich Ihre Schritte zu dem Fest aller Feste dorthin lenken, wo die Gottheit sich mit der Menschheit unbedingt verbinden will. Und dieser Ort ist Ihr Herz.
Möge der liebe Gott unseren oft so müden, verzweifelten, hin und her gerissenen, gebrochenen und sehnsüchtigen Herzen wieder ihre ursprüngliche Schönheit und Vitalität schenken. Durch die Neugeburt Seines Sohnes, unseres Herrn Jesus Christus, möge der Allmächtige Gott, unser Herr, Sie alle segnen + und beschützen, Ihnen Kraft und Mut, Halt und Zuversicht, den wahren Frieden und die wahre Freude schenken. Ihnen Allen ein wahrhaft frohes, gesegnetes und gnadenbringendes Weihnachtsfest!
Ihr Pfarrvikar Dominik Syga